WIE GESUND IST VEGAN? ERNÄHRUNGSBERATERIN DR. ANNETTE WEBER IM INTERVIEW

Oktober 25, 2017

"Das Thema ist sehr emotionsgeladen. Man muss einfach unglaublich fit sein, um eine gesunde und ausgewogene vegane Ernährung hinzubekommen, bei der es einem nicht an irgendwelchen Nährstoffen fehlt."

Die einen schwören drauf, die anderen finden sie viel zu radikal – die Rede ist mal wieder von der veganen Ernährung. Seit Wochen beschäftige ich mich mit kaum etwas anderem mehr. Für meine 30-Tage-Vegan-Challenge lese ich sämtliche Studien über Fleisch, Milchprodukte und Eier sowie mögliche Mangelerscheinungen und allgemeine Definitionen zu einer gesunden Ernährung. Grundsätzlich gehe ich davon aus, wer sich ernsthaft damit beschäftigt, welche Nährstoffe er braucht, dem dürfte es leicht fallen zu den richtigen Lebensmitteln zu greifen. Ganz gleich ob man nun bestimmte Lebensmittel weglässt, oder nicht. Aber wie schätzt das ein Food-Profi ein?

Um das herauszufinden habe ich mich auf den Weg nach Frankfurt-Sachsenhausen gemacht. Ganz in der Nähe vom Südbahnhof ist das Büro von Ernährungswissenschaftlerin Dr. Annette Weber. Dort berät sie ihre Patienten bezüglich gesunder Ernährung, Gewichtsreduktion, Allergien, Unverträglichkeiten, Magen-Darm-Erkrankungen und vielem mehr. Die Aussagen von Frau Dr. Weber basieren auf den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE).


Frau Dr. Weber, was sind gängige Beweggründe für ihre Patienten eine Ernährungsberatung in Anspruch zu nehmen?
Dr. Weber: Das kommt drauf an. Meine Patienten sind oft übergewichtig und wenden sich an mich um abzunehmen. Zum Teil haben sie allerdings auch gesundheitliche Probleme, also zum Beispiel erhöhte Cholesterin- und Blutfettwerte, Diabetes oder Magen-Darm-Erkrankungen. Außerdem habe ich viele Patienten mit Unverträglichkeiten auf beispielsweise Milch- oder Fruchtzucker.

Wie sieht es mit Patienten aus, die sich fleischlos ernähren? In Deutschland leben mittlerweile über 8 Millionen Menschen vegetarisch und sogar fast 1 Millionen Menschen vegan. Zeichnet sich dieser Trend auch bei Ihrem Klientel ab?
Dr. Weber: Ich bin zwar erst seit 3 Jahren selbstständig, allerdings hörte man anfangs immer nur von Vegetariern. Veganer gab es lange Zeit keine. Mittlerweile ist das wie eine Art Religion. Anstatt sich gesund zu ernähren sucht man sich was ganz extremes aus.

Sie halten die vegane Ernährung für extrem?
Dr. Weber: Also ich finde sie sehr extrem, einfach weil bestimmte Lebensmittel der Ernährungspyramide komplett wegfallen. Genau das ist das Problem: alle tierischen Produkte wie z.B. Fleisch, Fisch und Milchprodukte werden nicht mehr gegessen. Und an eiweißreichen Lebensmitteln bleiben eigentlich nur noch Hülsenfrüchte. Gut, teilweise auch Brot und Kartoffeln, aber eine ausgewogene Ernährung ist nur eingeschränkt möglich.

Ich persönlich ernähre mich seit ca. 5 Jahren vegetarisch und starte jetzt für meinen Blog 'Living cruelty-free' eine 30-Tage-Vegan-Challenge. Was würden Sie mir als Patientin für diese Zeit empfehlen?
Dr. Weber: Es gibt gewisse Empfehlungen für eine vegane Ernährung, damit man nicht in einen Mangel rutscht. Wenn Sie das nur vier Wochen testen wird das unbedenklich sein. Über einen längeren Zeitraum können allerdings Nährstoff-Mängel entstehen. Es ist nicht so, dass man tierische Produkte einfach so weglassen kann. Man muss schon sehr bewusst überlegen, was man genau isst. Es gibt auf vebu.de eine Lebensmittelpyramide für die vegane Ernährung. Außerdem findet man in dem Positionspapier zur veganen Ernährung von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung allerlei Informationen zu den gängigen Ernährungsformen sowie eine Einschätzung welche Nährstoffe dabei jeweils in ein Mangel geraten können. Was ich Ihnen bezüglich ihrer Ernährung raten würde: viele Vollkornprodukte, täglich mindestens 60 Gramm Nüsse, hochwertige pflanzliche Öle, sowie Sojaprodukte als Eiweißlieferant in Kombination mit Hülsenfrüchten und Getreide, damit Sie alle wichtigen Nährstoffe decken können. Dann gibt es noch das Problem mit Eisen, da pflanzliches Eisen schlechter verfügbar ist als tierisches Eisen.

Aber es gibt doch sehr viele gute pflanzenbasierte Eisen-Quellen, auf die Veganer und Vegetarier zurückgreifen können?
Dr. Weber: Das stimmt, besonders gut sind Vollkornprodukte, grünes Blattgemüse oder Feldsalat. Außerdem wird die Eisenaufnahme in Verbindung mit Vitamin C deutlich verbessert. Also zum Frühstück eignen sich beispielsweise Vollkornhaferflocken oder Vollkornbrot mit einem Glas Orangensaft oder einem Apfel. Trotzdem rate ich Vegetariern und Veganern den Eisenspiegel mindestens einmal jährlich zu kontrollieren. Nicht das Hämoglobin, sondern wirklich das Speichereisen. Auch den Vitamin B12-Wert sollte man im Auge behalten. Im Gegensatz zu beispielsweise Kühen können Menschen Vitamin B12 nicht selber bilden. Bei Vegetariern ist das nicht so kritisch, da sich das B-Vitamin auch noch in Milchprodukten befindet. Für Veganer eignet sich eine spezielle Vitamin B12-Zahncreme von Santé. Das wird dann durch die Mundschleimhaut resondiert.

Wie steht es um Schwangere und Kleinkinder? Ist eine vegane Ernährung empfehlenswert?
Dr. Weber: Davon wird strikt abgeraten, weil das Risiko zu groß ist, nicht genügend Nährstoffe aufzunehmen. Gerade bei Schwangeren. Das kindliche Gehirn entwickelt sich ja erst im Fötus, und das braucht einfach genügend Nährstoffe zur Entwicklung. Hat man beispielsweise deutlich zu wenig B-Vitamine kann es passieren, dass sich das Gehirn des Babys nicht richtig entwickeln kann. Das lässt sich auch nicht mehr aufholen.

Aber es achten ja auch viele Mischköstler bei ihrer Ernährung nicht darauf, alle wichtigen Nährstoffe aufzunehmen. Kann eine gesunde ausgewogene vegane Ernährung im Vergleich dazu gesünder sein?
Dr. Weber: Das würde ich so nicht sagen. Mischköstler essen ja alles. Natürlich gibt es Menschen, die überhaupt kein Obst, Gemüse oder Milchprodukte essen, aber die sind beispielsweise von der Eiweißversorgung her immer noch besser dran als ein Veganer. Entscheidend ist immer: was isst der Mensch? Was isst er wirklich? Und einfach die tierischen Produkte wegzulassen und so weiter machen wie bisher, ist nicht ausgewogen.

Gehen wir davon aus, dass ein Vegetarier bzw. Veganer darauf achtet alle Nährstoffe durch die Nahrung selbst sowie Nahrungsergänzungsmittel aufzunehmen. Kann demnach eine vegane bzw. vegetarische Ernährung auch Vorteile mit sich bringen?
Dr. Weber: Also eine vegetarische Ernährung kann sehr vorteilhaft sein. Vegetarier sind in der Regel gesünder, oft normalgewichtig, gesundheitsbewusster und haben seltener ernährungsabhängige Krankheiten. Das kann man bei Vegetariern schon so sagen. Und bei Veganern fehlen einem für solche Aussagen einfach die Studien.

Wir haben jetzt geklärt, ob die vegane Ernährung grundsätzlich gesund sein kann. Ist denn der Verzehr von Fleisch für den Menschen gesund?
Dr. Weber: Also mit der Aussage habe ich ein Problem. Ich selbst esse auch gern Fleisch, aber zu viel ist einfach nicht gut. Gerade wenn es sehr viel Fett enthält. Sehr fettiges Fleisch und Wurstwaren sind oft ungesund. Ich würde nicht raten mehr als 600 Gramm Fleisch pro Woche zu essen. Die meisten essen davon einfach zu viel. Vor allem die Fertigprodukte sind ein Problem. Viele Menschen kochen nicht, essen viel in der Kantine und kaufen sich Tiefkühlprodukte, die oft versteckte Fette enthalten. Man kann auch fleischlos gesund leben.

Gibt es denn generell etwas, das man beim Verzehr von Fleisch, Eiern, Milch und Co. beachten sollte?
Dr. Weber: Am allerbesten sind regionale Bio-Produkte. Lieber weniger Fleisch und dafür eine bessere Qualität. Eier würde ich generell nur Bio kaufen, allein schon wegen der Hühnerhaltung. Es gibt ja ständig irgendeinen Eier-Skandal.

Apropos Skandal: Ich bin bei meinen Recherchen auf eine Studie der Universität Harvard gestoßen. Diese hat aufgedeckt, dass sich in Milch krebsfördernde Hormone befinden und der Verzehr –anders als erwartet – sogar die Wahrscheinlichkeit von Knochenbrüchen erhöht.Gehört Milch also zu den „bösen“ Lebensmitteln, oder kann man sie bedenkenlos konsumieren?
Dr. Weber: Einzelne Studien sind nicht wirklich aussagekräftig. Man muss immer schauen wie die Datenlage insgesamt ist. Ich finde Milch gehört zu den guten Lebensmitteln und ist ein wichtiger Bestandteil in der gesunden Ernährung, sofern keine Allergie besteht.

Sie würden also sagen, dass man Milch auch als ausgewachsener Mensch, der ja eigentlich keine Muttermilch von Mensch oder Tier mehr braucht, bedenkenlos konsumieren kann?
Dr. Weber: Bis zu einer bestimmten Menge, ja. Auch hier spielt die Menge wieder eine große Rolle. 

Zu Beginn haben Sie erzählt, dass Patienten auch hin und wieder wegen Unverträglichkeiten, wie zum Beispiel gegen Milchzucker, zu Ihnen kommen. Ist das ein gängiges Problem?
Dr. Weber: Eigentlich betrifft es nur 10-12 Prozent der Bevölkerung. Allerdings denken deutlich mehr Menschen, dass sie Milchzucker nicht vertragen. Manchmal ist es aber gar nicht der Milchzucker an sich, sondern einfache Ernährungsfehler, von denen die Symptome ausgehen. 

Kommen wir zum Schluss nochmal auf meine Challenge zurück. Bei meinen Recherchen habe ich oft gelesen, dass einige Menschen nach einer abrupten veganen Ernährungsumstellung Probleme mit der Verdauung bekommen. Ist das bei einer Umstellung häufig der Fall?
Dr. Weber: Das kann an den Darmbakterien liegen. Wenn man beispielsweise plötzlich weniger Eiweiß zu sich nimmt muss sich die Darmflora erstmal umstellen. Es gibt allerdings auch Menschen, die nicht so viel Gemüse und Obst vertragen. Wenn man zu viele Unverträglichkeiten hat, kann ich mir vorstellen, dass nicht für jeden Menschen eine vegane Ernährung machbar ist. Das ist allerdings ein heißes Thema. Es gibt Veganer, die davon überzeugt sind, dass es in jeder Lebensphase das Richtige ist, also auch für Schwangere oder Säuglinge. Es ist sehr emotionsgeladen. Man muss einfach unglaublich fit sein, um eine gesunde und ausgewogene vegane Ernährung hinzubekommen, bei der es einem nicht an irgendwelchen Nährstoffen fehlt.

Würden sie als Ernährungsberaterin jemandem eine vegane Ernährungsweise empfehlen?
Dr. Weber: Eine vegetarische Ernährung ja, aber eine vegane Ernährung nicht. Es fallen einfach zu viele Lebensmittel weg.


Weitere Informationen: 
Weber Ernährungsberatung 
Vegane Lebensmittelpyramide (vebu.de) 
Positionspapier zur veganen Ernährung (DGE)



Meine Erkenntnisse für die Challenge?

Um bei einer veganen Ernährung alle Nährstoffe abzudecken erfordert es ein gewisses Grundwissen, welche Lebensmittel mich mit den jeweiligen Vitaminen versorgen. Habe ich mir das erstmal verinnerlicht, sehe ich deutlich weniger Probleme bei einer gesunden, ausgewogenen veganen Ernährung, als die DGE. Auch die Aussage, dass Vegetarier seltener an ernährungsabhängigen Krankheiten leiden, und Fleisch in vielen Fällen nicht wirklich gesund ist, motiviert mich weiterhin zu meiner fleischfreien Ernährung. Ein ausführlicheres Fazit gibt es demächst in der Zusammenfassung meiner ersten veganen Wochen.



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